Wir haben die erste Schulwoche Klasse 2b verlebt. Wir haben uns wacker geschlagen (auch auf den Wecker), und sind gehüpft, weil uns die Sommerlaune noch in den Knochen steckt, das Planschbecken noch auf der Wiese stand, und ich habe neue Blumen gepflanzt, in Herbstfarben. Wir waren auf Reisen und das Schaukeln des Wohnwagens, das Räderrauschen auf dem Asphalt, das Glück und das Licht schwingt noch in uns nach.
Und heute, wie ein Wunder, kann ich ungestraft bis zehn und länger im Bett sitzen, bekomme eine erste und eine zweite Tasse heißen Kaffee, das Fenster knarrt und der Regen liebkost die Scheiben. Die Kinder spielen durch alle Zimmer und das Baby schläft schon wieder und seufzt neben mir, weil Träumen wohl auch manchmal mühsam ist. Und einen Morgen lang geht der Urlaub weiter, auch, weil ich seit zwei Wochen eigentlich Ferien auf Saltkrokan mache, „im Geheimen“. So ein wunderbares Buch; ich lege mir jeden Satz einzeln auf den Teller und lass ihn mir auf der Zunge zergehen. Wenn ich dieses Buch lese, denke ich wahrhaftig, eigentlich bräuchte man kein einziges anderes Kinderbuch auf der Welt.
Ich lese „Ferien auf Saltkrokan“ zum ersten Mal; nachdem Mini Blondie es schon drei, viermal durch hat. Ich will, dass es nie zu Ende ist.
Und mein Herz brennt, weil es uns so unverschämt gut geht und wir Bücher haben und Wörter wie Heile Welt und Idylle uns aus dem Mund kommen können und nicht nach Blut schmecken.
Und weil heute hunderte Geflohene hier ankommen, um meine Ecke, unter die dünnen Zeltwände schlüpfen, und für sie hat der Regen ganz und gar nichts schmeichelhaftes. Und für sie könnte dieses schöne Buch ihr Leben lang nur noch ein Hohn sein, weil ihnen tausendfach das Herz gebrochen wurde.
Und mir steigt Schamröte ins Gesicht, weil ich nicht glauben kann wie naiv ich war. Ich habe gedacht, unser Land bekommt das hin. Ich habe geglaubt, wer hier ankommt, ist in guten Händen. Ich habe überhaupt nichts gerafft. Nicht, wie schlimm es in Syrien eigentlich ist. Nicht, wie grauenhaft es ist, überhaupt zu fliehen. Und schon gar nicht, dass daraus ein Millionengeschäft gemacht wird. Dass ein Menschenleben für manche nichts zählt. Dass soviel Menschenfeindlichkeit lauert.
Wir sind doch aber alle gleich.
Wir könnten die besten Spielkameraden auf Saltkrokan sein, wären wir Kinder, wären wir im Sommer auf einer kleinen Insel …
Ich kann nicht, ich will nicht aufhören zu glauben, dass es noch genug Nächstenliebe gibt.
Im kleinen Tiergarten schlafen die Familien unter freiem Himmel. Im Regen. Es bricht mir das Herz.
Wer geht hin?
Ich habe ein Zelt, das brauche ich nicht, aber ich traue mich nicht, es hinzubringen. Dann ist da ein Zelt, und keine Matratzen. Das ist doch viel zu wenig.
Eine Freundin gibt schon seit Monaten Strickkurse bei Flüchtlingen in Berlin. Andere Freunde besuchen schon lange, lange Flüchtlinge in einem Heim. Ich habe nicht mal gefragt, was sie da machen.
Ich bin jetzt erst aufgewacht. Viel zu spät, aber nicht zu spät. Ich schäme mich sehr.
Die Wucht der Ohnmacht soll nicht länger lähmen. Ich spüre in mir das trotzige Kind, Tjorven gar nicht unähnlich, dass mit dem Fuß aufstampft und jetzt und sofort will, dass allen in Not geholfen wird. Alle sollen ein schönes Buch haben und eine zweite Tasse Kaffee und ein neues Leben, verdammt.
Gestern haben wir bei der kleinen Zeltstadt in Spandau vorbeigeschaut. Es ging hoffnungsvoll zu. In dem Moment. Autos, beladen mit Sachspenden, brummten nur so aufs Gelände.
Es gibt viele Helfer. Noch nicht genug.
Ich bin froh dass es die Seite Blogger für Flüchtlinge gibt.
Hier kann jeder spenden.
Informationen zu Sachspenden und regionalen Hilfsprojekten.
Ich möchte mit anpacken, genau wie so viele. Uns fehlt noch der lange Atem. Überall geht es chaotisch zu. Wenn es einen gepackt hat, zu helfen, will man die vollen Arme in offene Hände abgenommen bekommen. Manchmal geht das gar nicht sofort. Aber es wird gehen. Ich hoffe, wir wachsen daran alle ein großes Stück miteinander. Ich hoffe, wir halten warm, was die Neuankömmlinge vor allem auch brauchen: Frieden.